Mechanismus einer krakenartigen Virus-Vermehrungsmaschinerie entschlüsselt
Hamburg/Grenoble. Ein Forschungsteam des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM), des EMBL Grenoble sowie der HPI/UHH-Abteilung „Strukturelle Zellbiologie der Viren“ am CSSB hat neun Strukturen eines essentiellen Lassavirus-Proteins in verschiedenen funktionellen Zuständen untersucht. Das Protein ist für die Virusvermehrung notwendig und bietet so hervorragende Angriffspunkte für antivirale Wirkstoffe. Die Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht worden.
Das Lassavirus kommt in westafrikanischen Ländern vor und wird durch kontaminierte Lebensmittel oder Haushaltsgegenstände von Mastomys-Mäusen, den natürlichen Wirten des Virus, auf den Menschen übertragen. Obwohl viele Infektionen des Menschen mit dem Lassavirus asymptomatisch verlaufen, entwickelt etwa einer von fünf Patienten eine schwere hämorrhagische Fiebererkrankung, die lebenswichtige Organe wie Leber, Milz und Nieren beeinträchtigen kann. Die Weltgesundheitsorganisation stuft Lassafieber als erhebliche Bedrohung der Weltgesundheit ein. Die Infektionskrankheit birgt ein hohes Epidemiepotenzial; ohne Impfungen oder verlässlich wirksame Medikamente.
„Obwohl Forschungsgruppen weltweit an einem Impfstoff arbeiten, wird ein wirksames antivirales Medikament dringend benötigt, um die Zahl der schweren und tödlichen Fälle zu verringern“, erklärt Dr. Maria Rosenthal, BMBF-Nachwuchsgruppenleiterin des BNITM. Hier könne die Strukturbiologie helfen.
Vielversprechende Zielstrukturen des Lassavirus für die Wissenschaft
Die Zusammenarbeit zwischen den Forschungsgruppen des EMBL Grenoble, des BNITM und der HPI/UHH-Abteilung „Strukturelle Zellbiologie der Viren“ am CSSB führte zu einer in Nature Communications veröffentlichten Arbeit. Darin werden neun Strukturen eines Enzyms, der Lassavirus-Polymerase, in verschiedenen funktionellen Zuständen beschrieben. In einer infizierten Zelle vervielfältigt dieses Enzym die genetische Information des Virus und sorgt für die Produktion von Bausteinen für neue Viren – es ist somit überlebenswichtig für das Virus.
Die Polymerase hat eine eigentümliche Architektur mit einem Kern und flexiblen äußeren Bereichen. "Wir nennen die Lassavirus-Polymerase einen 'Oktopus', weil es so aussieht, als hätte sie Arme, die umherschwimmen, was es sehr schwer macht, sie in einer Position zu fixieren", erklärt einer der drei Hauptautoren Dr. Tomas Kouba von der EMBL-Gruppe. „Wenn man diesen Oktopus beobachtet, möchte man auch sehen, wie er sich verhält, wie er seine Arme bewegt, um etwas zu essen oder zu fangen“, verbildlicht Kouba. „Allerdings sind diese Bewegungen sehr schnell, was eine Darstellung in ausreichender Schärfe schwierig macht.“
Für die Untersuchungen wandte die internationale Forschungsgruppe die moderne Technik der Kryo-Elektronenmikrokopie an: „Das Besondere an der Kryo-EM ist, dass man Millionen von Bildern des Proteins machen kann. Dann kann man sie in verschiedene Boxen sortieren: eine Box wo der Arm nach oben geht und eine Box wo der Arm nach unten geht“, fügt Rosenthal hinzu. „Am Ende hat man hochaufgelöste Einzelbilder der Krakenarme in verschiedenen Positionen anstelle eines verwaschenen Bildes von allen Positionen des Arms gleichzeitig. So kann man die Arme verlässlich modellieren.“
Diese Studien lieferten entscheidende Erkenntnisse über das Lassavirus, das nur vier verschiedene virale Proteine besitzt - sehr wenig im Vergleich zu anderen Viren wie Herpesviren oder SARS-CoV-2, die Dutzende von Komponenten haben. Das Lassavirus macht die geringe Anzahl seiner viralen Proteine wett, indem die Proteine mehrere Funktionen gleichzeitig übernehmen, ähnlich einem Schweizer Taschenmesser.
Moderne Infektionsforschung – global, präventiv und nachhaltig handeln
Ihre Erkenntnisse zum Aufbau der Lassavirus-Polymerase ergänzten die Forschenden durch weitere Experimente zur Regulation der Enzymfunktion und zur Bedeutung einzelner Bestandteile des Enzyms. „Nur durch die kombinierte Expertise aller Partner, war es möglich, dieses komplexe Enzym darzustellen und zu verstehen“, betont Rosenthal. „Die Strukturbiologie ist wichtig, um zu verstehen, womit wir es zu tun haben“, erklärt sie weiter. Denn wie könne man einen Kampf gewinnen, wenn man nicht wirklich wisse, gegen wen man kämpft? Mit dem Wissen, wie diese Viren genau funktionieren, könne die Wissenschaft mehr Ideen entwickeln, wie die Menschen diese Viren nachhaltig, global und koordiniert bekämpfen können.
Das BNITM und das HPI sind bereits langjährige Partnerinstitute: Seit Gründung des Leibniz Center Infection (LCI) im Jahr 2005 forschen Gruppen der beiden Institute gemeinsam zu Themen von „Global and Emerging Infections“ als Kernkompetenz im Hamburger Wissenschaftsraum.
Publikation:
Kouba T, Vogel D, Thorkelsson SR, Quemin ERJ, Williams HM, Milewski M, Busch C, Günther S, Grünewald K, Rosenthal M & Cusack S. Conformational changes in Lassa virus L protein associated with promoter binding and RNA synthesis activity. Nat Commun 12, 7018 (2021).