06.02.2020

Viren und Krebs – systematische Bestandsaufnahme veröffentlicht

Neues aus der Forschung am HPI
Neues aus der Forschung am HPI

In über 2.600 Tumorproben von Patienten mit 38 verschiedenen Krebsarten durchsuchten Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) unter Mitwirkung des Heinrich-Pette-Instituts das Erbgut systematisch nach Spuren von Viren – und wurden in 13 Prozent der untersuchten Fälle fündig. Dabei entschlüsselten die Forscher auch Mechanismen, über welche die Erreger krebsfördernde Mutationen im Erbgut auslösen. Die Ergebnisse sind nun im renommierten Journal „Nature Genetics“ erschienen.

Über 15 Prozent aller Krebserkrankungen werden nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO direkt oder indirekt durch infektiöse Erreger verursacht. Elf verschiedene Krankheitserreger – Viren, Bakterien und Würmer – stuft die internationale Krebsforschungsagentur IARC in Lyon als krebserregend ein und schätzt, dass etwa eine von zehn Krebserkrankungen auf das Konto von Viren geht. 640.000 Krebsfälle jährlich werden weltweit allein durch humane Papillomviren (HPV) verursacht.

Mit der aktuellen Studie verschaffte sich nun ein internationales Team von Genomforschern unter der Federführung von Prof. Peter Lichter vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) einen genauen Überblick darüber, welche Viren bei welcher Krebsart eine Rolle spielen. Dabei wollten die Forscher auch nach Viren fahnden, die bislang noch nicht mit der Krebsentstehung in Verbindung gebracht wurden oder sogar noch völlig unbekannt waren.

Eine der dafür verwendeten bioinformatischen Analysemethoden wurde in der HPI-Forschungsgruppe Virusgenomik unter Leitung von Prof. Adam Grundhoff entwickelt. Die Besonderheit der Methode besteht darin, dass Erreger nicht nur durch Abgleiche mit Datenbanken bereits bekannter Sequenzen, sondern auch durch Erkennung spezifischer Muster innerhalb der Probenkohorte selbst identifiziert werden können. Auf diese Weise lassen sich sowohl bekannte wie auch neuartige Infektionserreger aufspüren.

Die aktuelle Arbeit ist Teil des Konsortiums „Pan-Cancer Analysis of Whole Genomes“ (PCAWG): 1.300 Forschende wollen gemeinsam klären, welche Genmutationen bzw. Muster an Erbgutveränderungen über mehrere Tumorarten hinweg eine Rolle spielen. Für diese Meta-Analyse unterzogen sie die Sequenzdaten von mehr als 2.600 Tumorgenomen von 38 verschiedenen Krebsarten einer umfassenden bioinformatischen Untersuchung.

Insgesamt wurden bei 356 Krebspatienten die Spuren von 23 verschiedenen Virusarten entdeckt. Darunter waren erwartungsgemäß die bekannten viralen Treiber von Krebsentstehung und Krebswachstum am häufigsten vertreten: In 5,5 Prozent der untersuchten Krebsgenome fand sich das Erbgut von Epstein-Barr Viren (EBV), die als Verursacher zahlreicher Krebsarten, insbesondere Lymphomen sowie Krebserkrankungen des Magens und des Nasen-Rachenraums, bekannt sind. Hepatitis B Virus-DNA wurden bei 62 der insgesamt 330 Fälle von Leberkrebs gefunden.

Humane Papillomviren mit HPV 16 als häufigstem Vertreter fanden die Forscher vor allem bei Gebärmutterhalskrebs (bei 19 von 20 untersuchten Krebsfällen) und Hals/Rachen-Tumoren (bei 18 von 57 Fällen).

Für einige der aufgespürten Virusarten konnten die Wissenschaftler einen Zusammenhang mit den Krebserkrankungen mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen. So werden beispielsweise Adenoviren oder Baculoviren oft als Hilfsmittel für die molekularbiologische Forschung verwendet, die gefundenen Sequenzen sind wahrscheinlich Verunreinigungen.

In wenigen Fällen fand das Team weitere, bereits als Krebsverursacher bekannte Viren wie ein Retrovirus beim Nierenkarzinom. Andere Erreger fanden sich gelegentlich in Tumoren derjenigen Gewebe, die sie normalerweise infizieren, etwa Cytomegaloviren bei Magenkrebs. Völlig unbekannte Viren jedoch gingen den Forschern bisher nicht ins Netz, trotz der sorgfältigen bioinformatischen Analyse.

Die Forscher beobachteten bei einem Teil der HPV- und EBV-assoziierten Tumoren, dass die charakteristischen Treibermutationen fehlen, auf welche die Zellen dieser Krebsarten normalerweise für ihr Wachstum angewiesen sind: Vermutlich unterstützt die Anwesenheit des Virus die bösartige Entartung der Zellen über andere Faktoren.

Als wichtigsten Mechanismus, der zu virusbedingten Mutationen führt, erkannten die Forscher den Einbau des Viruserbguts in das menschliche Genom, insbesondere bei Hepatitis B und bei den Papillomviren.

Als weiteren wichtigen Mechanismus, der im Erbgut infizierter Zellen Mutationen auslöst, wurde die zelleigene Virusabwehr identifitiert: Mit ihren so genannten APOBEC-Proteinen versucht die Zelle, das Erbgut gefährlicher Viren anzugreifen – was aber häufig auch zu Mutationen des zelleigenen Genoms führt. Die Konsequenz sind zum Beispiel Gebärmutterhalskrebs und Hals/Rachentumoren nach HPV-Infektionen.

„Bei der Analyse der vollständigen Krebsgenome haben wir in deutlich mehr Tumoren Spuren von Viren entdeckt als bei früheren Untersuchungen, die nur auf der Untersuchung der RNA beruhten. Trotzdem konnten wir die häufig geäußerte Vermutung nicht bestätigen, dass weitere, bislang unbekannte Viren mit Krebs assoziiert sind“, fasst Studienleiter Peter Lichter zusammen. „In vielen Fällen sehen wir jetzt allerdings klarer, auf welche Weise die Erreger Zellen bösartig entarten lassen.“

 

Publikation:

Zapatka M, Borozan I, Brewer DS, Iskar M, Grundhoff A, Alawi M, Desai N, Sültmann H, Moch H, PCAWG-Pathogens, Cooper CS, Eils R, Ferretti V, Lichter P, PCAWG Consortium: The landscape of viral associations in human cancers. Nature Genetics 2020.

DOI: 10.1038/s41588-019-0558-9

 

Foto: HPI, Fotograf: Udo Thomas